München, 30.04.2012 rh. Die Haushaltspolitik Bayerns und die enormen finanziellen Herausforderungen, vor denen Freistaat angesichts der europäischen Finanz- und Schuldenkrise steht, stand im Mittelpunkt einer öffentlichen Veranstaltung der SEEHEIMER OBERBAYERN mit dem SPD-Finanzexperten Volkmar Halbleib.
Georg Seidl, Mitglied im Sprecherteam der SEEHEIMER OBERBAYERN, Finanzanalytiker in einer Münchener Bank, begrüßte im „Unionsbräu“ in München-Haidhausen den Würzburger Verwaltungswissenschaftler und stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Landtagsfraktion sowie ein hochkarätiges Publikum.
Halbleib, als parlamentarischer Haushälter Mitglied einer Zunft, die bisher eher im Verborgenen ihrer Sacharbeit nachging, berichtet, dass die Haushalts- und Finanzpolitik auf Landesebene erstmalig im Zentrum des politischen wie öffentlichen Interesses stehe. Dies sei kein Zufall, denn zu keiner Zeit habe es eine vergleichbar tiefgreifende Krise auf europäischer Ebene und deren unmittelbares Einwirken auf die nationale wie Landespolitik gegeben. Dabei stehe im Mittelpunkt das System der Europäischen „Rettungsschirme“ und der „Schuldenbremse“. Dies sei „vom Grundsatz her eine vernünftige Regelung“, so Halbleib. Eine „Schuldenbremse“ sei auch schon im Grundgesetz verankert, die europäische enthalte aber auch Sanktionierungsregelungen für den Fall der Nichtbeachtung durch einzelne EU-Länder. Dies mache unter anderem die geplante Grundgesetzänderung erforderlich.
Die bundesdeutsche Verschuldung habe die Marke von 2 Billionen Euro überschritten, von denen ein knappes Drittel auf die Länder und 7 % auf die Gemeinden entfallen. Bayern stünde mit etwa -32,5 Mrd Euro dabei noch relativ gut da. Allerdings sei insbesondere durch das von der damaligen Regierung verursachte Desaster bei der Bayerischen Landesbank, aber auch durch strukturelle Probleme, die Situation längst nicht mehr so, dass Bayern in allen Parametern und Bewertungsmaßstäben noch Spitzenpositionen einnehme.
„Haben wir überhaupt ein Problem? Wenn man der Landesregierung Glauben schenke, dann ist die Antwort offenbar nein“, so Halbleib und sezierte im Folgenden die Aussagen der Regierung und Seehofers Ankündigung, Bayern bis 2030 „schuldenfrei“ machen zu wollen, in großem Detail.
Er zeigte Defizite bei der Quote der Personalausgaben auf, die mit 42 % weit oben läge, beim Verlust der Spitzenposition bei der Investitionsquote mit nur mehr 11,5 %, bei der Zunahme der Verschuldung im letzten Jahrzehnt von etwa 1,4 Mrd. jährlich auf. Insbesondere gäbe es starke Indizien für strukturelle Defizite, sei doch der Haushalt heuer trotz ausgezeichneter Konjunkturdaten und somit hoher Steuereinnahmen nicht ausgleichbar, dies trotz Ausgabenkürzung von 440 Mio. in 2012 und geplanten jeweils einer halben Milliarde Euro in den kommenden Jahren. Die Schuldenneuaufnahme beliefe sich auf 2 Mrd. Euro. Ein Rückgriff auf Reserven sei auch nur noch bedingt möglich, das „Tafelsilber“ nicht mehr in bayerischem Besitz. „Bayern hat heute den geringsten Gestaltungsspielraum aller vergleichbaren Länder und dabei eine hohe, versteckte Verschuldung, u.a. im Bereich der Infrastrukturmängel, bedingt durch mangelnde Investitionskraft.“ Bei allem seien die Risiken der Landesbank noch gar nicht berücksichtigt. Die SPD sei für ein schuldenfreies Bayern und für eine Schuldenbremse in der Verfassung, aber parallel müsse die Sicherung der Investitionen in die Infrastruktur, etwa der Breitbandversorgung, und die Sicherung der Bildung erfolgen und es dürfe keine Verlagerung von Ausgaben an die Kommunen und kein Verstecken von Schulden geben.
In der Frage der Konsolidierung gäbe es dabei keine Dogmatik gegenseitiger Ausschließlichkeit „Einnahmeseite oder Ausgabeseite“. Beide Seiten seien im Rahmen eines anzustrebenden realistischen „Wachstumspfades“ in die Überlegungen und Maßnahmen pragmatisch einzubeziehen, Fehlentwicklungen seien zu erkennen und zurückzustutzen. Die weitere Rationalisierung in den Verwaltungen und der Abbau von Subventionen sowie die Gestaltung eines wachstumsfreundlichen Steuersystems seien für ihn kein Tabu. „Konsolidieren und Wachstumsimpulse“ sei die Parole. Bemühungen um einen „schlanken Staat“ dürften nicht in ideologische Magersucht, in Staatsfeindlichkeit von rechts, ausarten.
Halbleibs Fazit: Die Herausforderungen an die bayerischen Finanz- und Haushaltspolitik sind enorm. Mit Mogelpackungen wird man nicht weiterkommen, mit parteipolitischen Scheuklappen auch nicht. „Es gibt z.B. seit der Ankündigung Seehofers kein einziges Papier der Regierung oder der CSU, das sein Sparvorhaben konkret umsetzt.“ Auf der Grundlage einer nüchternen Analyse der Lage, der Ursachen der Krise und der Einflussgrößen sei es Aufgabe der bayerischen Politik, zwischen Schuldenbremse und Zukunftsgestaltung den Königsweg zu finden. Dreh- und Angelpunkt dabei sei eine solidarische Finanzierung notwendiger Maßnahmen. Dies war und dies sei auch heute einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren unseres Landes.