München. Die Jahresauftaktveranstaltung der SEEHEIMER OBERBAYERN am 30. Januar 2011 im vollen Saal der genossenschaftlichen Gaststätte FREILAND war einmal mehr ein für oberbayerische Sozialdemokraten besonderes Erlebnis.
Mit Garrelt Duin, dem wirtschaftspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagfraktion, Mitglied des SPD-Vorstandes, Sprecher des Seeheimer Kreises und ehemaliger SPD-Vorsitzender von Niedersachsen war ein Sozialdemokrat von echtem Schrot und Korn zu Gast.
Unter dem Motto „Mut zur Sozialdemokratie“ hatte Garrelt Duin in einem im Herbst 2010 entwickelten Grundsatzpapier die derzeitige Identitätskrise der SPD schonungslos analysiert. An Willy Brandts „Wir schaffen das moderne Deutschland“ (1969) zeitgemäß anknüpfend, stellt er die Begriffe der Freiheit, der sozialen Gerechtigkeit unter den Bedingungen der Globalisierung und des rasanten technischen Fortschritts als Motor für die Erneuerung des Umganges mit den Ressourcen dieser Erde und den Garanten für den Erhalt des Wirtschaftstandortes Deutschland und damit des Sozialstaates in den Mittelpunkt seiner Ausführungen.
Denselben Mut zum Überdenken tradierter politischer Denk- und Verhaltensmuster sieht er auch als zwingend erforderlich an, um die stagnierende Entwicklung der europäischen Einigung wieder in Gang zu setzen, mit dem Ziel, die weitgehend bestehende Wirtschafts- und Währungsunion zu einem sozialen, demokratischen, geeinten Europa weiterzuentwickeln. Dies soll auch dazu dienen, den westlichen Grundwerten ein solides gesellschaftliches Fundament zu schaffen und Europa und seine Werte zu einem der entscheidenden Faktoren in einer multipolaren Welt zu machen.
Eine zukunftsorientierte Sozialdemokratie wünscht er sich, keine zaghafte, die ihr Heil in den wirtschaftlichen und sozialen Lösungsmustern der 80er Jahre sucht. Er kritisiert, dass das Prinzip Hoffnung, das im Godesberger Programm seinen Niederschlag fand und den technischen Fortschritt ganz wesentlich für die Ziele eines Deutschland in Wohlstand und sozialer Sicherheit nutzen wollte – und dies erfolgreich auch tat – umschlug in konservative Ängstlichkeit.
Ausdrücklich ging er auch auf die jüngsten Selbstdemaskierungen der so genannten Linkspartei ein. Deren Verständnis einer „zukünftigen“ Gesellschaftsordnung sei soeben durch deren Vorsitzende Lötzsch dekuvriert worden: ein (Rück)Weg in die kommunistische Vergangenheit soll es sein. „Mit einer solchen Partei gehen Demokraten, erst recht Sozialdemokraten, keine Bündnisse und schon gar kein ‚linkes Projekt’ ein, sondern bekämpfen sie politisch auf allen Ebenen.“ Die Quittung für ein anderes Verhalten sei in Hessen zu besichtigen gewesen. In diesem Zusammenhang hatte Gerd Körner, Sprecher der Seeheimer Hessen, eingangs Grüße seines Kreises und – unter großem Beifall – die von Dagmar Metzger und ihrem Schwiegervater, dem legendären Sozialdemokraten Günter Metzger aus Darmstadt, einer der Gründungsväter der SEEHEIMER auf Bundesebene, überbracht.
Jürgen Maruhn, Sprecher der SEEHEIMER OBERBAYERN, der die Versammlung eröffnete, konnte etliche SPD-Kommunalpolitiker aus den Landkreisen zwischen Ammersee und Chiemsee begrüßen und zeigte sich besonders erfreut über die Teilnahme der Münchner Stadträtin Dr. Inci Sieber sowie des Berufsmäßigen Stadtrats Dieter Reiter, Referent für Arbeit und Wirtschaft der Landeshauptstadt München und seiner Frau. Beide Exponenten der Münchner Stadtpolitik nahmen sehr engagiert an der sich entwickelnden Diskussion über Duins Thesen teil und wiesen besonders auf die kommunalen Aspekte der Bereiche Sozialstaat, Finanzkrise, Europäische Vorgaben und Harmonisierung hin.
Duin griff sowohl die derzeitige Bundesregierung (uneinige „Chaostruppe“), aber auch die Grünen heftig an. Letztere gerierten sich angesichts derzeitiger Umfragewerte bereits wie eine Mehrheitspartei in diesem Land. Er rief die SPD auf, endlich auch die Grünen als politischen Gegner wahr zu nehmen, der oft genug in populistischer Weise gleichzeitig außerparlamentarische Opposition und bürgerliche Parlamentspartei spiele.
Die Veröffentlichung von Duins Papier hatte bundesweites sowie parteiübergreifendes Aufsehen erregt. Bekanntlich gab es auch vehemente, wenngleich nicht immer intelligente (z.B. „Nestbeschmutzung“) innerparteiliche Kritik von zumeist retardierenden Kräften. Die Zuhörer von Vortrag und Diskussion fragten sich mit Verwunderung, was an den Thesen und Aussagen des Mitglieds des SPD-Vorstandes denn negativ sein soll und warum. Im Gegenteil: lang anhaltender Beifall der mehr als 90 Anwesenden zeigte, dass die Basis ihre Hoffnung auf eine neu positionierte SPD als die Partei der Arbeit, des aktiven Sozialstaates, der Freiheit, des Fortschrittes und des demokratischen Europa setzt. Garrelt Duin ist mit 42 Jahren ein relativ junger Politiker – einer mit noch großer Zukunft. Und man spürte es förmlich an den Tischen der Gaststätte FREILAND, dass mit solchen leidenschaftlichen und zugleich pragmatischen Sozialdemokraten die SPD eine – für unser Land wichtige – Zukunft haben wird.
Robert Hagen