Alexander Reissl, Sozialdemokrat seit 1974, Stadtrat seit 1996 und tatkräftiger Fraktionsvorsitzender der SPD Fraktion im Münchner Rathaus im nunmehr 8. Jahr war heuer der Gastredner der Seeheimer Oberbayern. Traditionell und nunmehr schon zum 20. Mal wurde zum Jahresauftakt mit „Kartoffelsuppe“ ins Freiland – Traditionsgaststätte des gleichnamigen Ortsvereins in München Obersendling – eingeladen.
Rund fünfundsiebzig Besucher waren trotz Schmuddel-Wetter am Sonntagnachmittag zu den Ausführungen Reissl‘s zur Münchner Kommunalpolitik gekommen und sie wurden wahrlich nicht enttäuscht: In dem ihm eigenen Stil, ohne Schnörkel, dafür umso mehr bedacht, die Brennpunkte der kommunalen Politik herauszuschälen, lieferte er eine „tour d’horizon“ die es in sich hatte und zu einer Lehrstunde über die Münchner Stadtpolitik wurde.
Zur Eröffnung stellte der Sprecher der Seeheimer, Georg Seidl, den Redner vor und begrüßte – auch im Namen des gastgebenden Ortsverein Freiland – die aus ganz Oberbayern angereisten Sozialdemokraten, darunter Mandatsträger aus Bezirkstag, Kreistag, Gemeinden und Städten.
Seidl überbrachte auch die Glückwünsche zum „Gutem Gelingen“ von Dr. Hans-Jochen Vogel, Gründungsmitglied der „Bundes-Seeheimer“, und von Altlandrat Seban Dönhuber, langjähriges Mitglied im Sprecherkreis, die beide leider verhindert waren.
Zum Einstieg in seine Rede beleuchtete Alexander Reissl das derzeitige Flüchtlingsdrama, wesentlich verursacht durch die Fluchtbewegungen vor dem radikalen Islamismus, das München wie viele andere Städte derzeit sehr beschäftigt. Zuständig die Regierung von Oberbayern, leiste die Stadt München dennoch erhebliche infrastrukturelle, administrative und andere Unterstützung. „Wir machen keine Politik auf dem Rücken der Flüchtlinge“ umschrieb Reissl die Maßnahmen des Oberbürgermeisters und der Stadt. Gegenüber den 90er Jahren, als ein ähnlicher Ansturm erfolgte, sei die Situation politisch betrachtet verbessert, als die CSU sich gegenüber ihren damaligen Positionen deutlich bewegt habe und kooperativ Lösungen anstrebe.
In diesem Zusammenhang warnte er vor der sog. „Willkommenskultur“ als falschem und in diesem Zusammenhang gefährlichen Begriff, da er nicht nach Flucht-/Aufenthaltsgrund unterscheide und ein nicht-existentes internationales Freizügigkeitsrecht suggeriere. Notwendig dagegen sei es, Kontingente für Flüchtlinge aus den Bürgerkriegsgebieten für die Länder der EU auszuweisen, um den Flüchtlingen einen geordneten Schutz- und Lebensraum bieten zu können und die verbundenen Lasten länder- und kommunengerecht verteilen zu können. Nur eine differenzierte Betrachtung, z.B. von syrischen Verfolgten einerseits und Asylbewerber aus europäischen Ländern andererseits sei zielführend. Unabhängig aber davon sei für Sozialdemokraten selbstredend eine menschenwürdige Aufnahme für jeden hier Ankommenden verpflichtend.
Die Frage der Koalitionsbildung im Münchner Rathaus hatte in SPD-Kreisen für heftige Diskussionen gesorgt. Reissl räumte in diesem Zusammenhang mit einigen Mythen, die von Presse und auch parteiintern verbreitet worden seien, auf. Mit den Grünen sei – anders als kolportiert – das initiale Koalitionsgespräch geführt worden, obwohl Rot und Grün ja keine Mehrheit mehr im SR hätten. Die Einbindung der ÖDP sei aber gescheitert, und mit dem Vertreter der Linken -ausgewiesenes DKP Mitglied und generell ein massiver Widersacher der SPD – dies wäre wahrlich keine Option gewesen, das Münchner Schiff sicher durch die nächsten Jahre zu leiten.
Auch die Vorstellung einer koalitionslosen Stadtrates oder einer Minderheitenkoalition sei für ein Großstadtparlament abwegig. “Ein Stadtrat hat alles, was geschieht, zu beschließen, es gibt im Unterschied zu einem Landessystem keine Regierung, die nach Beschluss eines Haushaltes frei handeln könne. Dies sei der wesentliche, gravierende Unterschied“.
Im Übrigen seien sich die Grünen nicht einig gewesen, OB Reiter habe erfolglos versucht, Brücken zu bauen.
Die Arbeit in der jetzigen SPD-CSU Stadtratskooperation sei im Übrigen sehr gut. Ideologisches Geplänkel, Eifersüchteleien einer kleineren Fraktion etc. seien passé und die Arbeitsbeziehungen hätten sich gut entwickelt. Im Übrigen seien die Erfolge unter Führung von Dieter Reiter auch angetan, die Stellung der SPD in München wieder zu festigen.
Ausführlich ging Reissl auf die Stadtentwicklung, als die Herausforderung für München ein. Positiv zu vermerken
- München wächst, und das ist nicht schlecht; ein Bevölkerungsrückgang würde u.a. höhere Belastung im Infrastrukturbereich bedeuten
- Die Struktur der Stadt ist ausgewogen und solide – es besteht ein vergleichsweise großer Anteil industrieller Produktion im Mix mit modernen Dienstleistungen
- Rekordjahr beim Steueraufkommen – insbes. die Gewerbesteuer sprudelt
Das große Problem aber ist und bleibt die Mietpreisentwicklung – bezahlbare Mieten und fehlender Wohnraum im entsprechenden Preissegment
Reissl berichtete dazu, dass die Stadt das Problem angehe und u.a. ihre Pensionskasse für den Bau bzw. entsprechende Baumodelle im dreistelligen Millionenbereich für einige Tausend Einheiten einsetzen wolle. In diesem Zusammenhang kritisierte er die vor Jahren gefallene Entscheidung der Bayerischen Landesregierung zur Privatisierung der Wohnungsbaugesellschaft GBW aufs schärfste.
Die Situation der S-Bahn als dem elementaren Verkehrsträger in München sei nicht länger haltbar. Die Staatsregierung sei in der Pflicht, in Sachen Ausbau, zweiter Tunnel und Anbindung des Münchner Umlandes dringend notwendige Investitionen vorzunehmen. Da die (städtische) U-Bahn nur noch bis 2019 zuschussfähig sei, würden derzeit die Planungen für die Erweiterung nach Pasing vorangetrieben.
Eine klare Absage erteilte er der von den Grünen geforderten flächendeckenden Einführung von Tempo 30 im gesamten Stadtgebiet und die Schließung der Altstadt für den Straßenverkehr. Das bisherige System habe sich bewährt. Auch der Autoverkehr dürfe nicht vernachlässigt werden. Individualverkehr habe auch in München seine Berechtigung. „Grüne Symboldebatten, wie sie hier zu diesem Thema betrieben wird, lehne ich ab.“
Zum Dauerthema Neuer Konzertsaal, von Christian Ude noch wenig gefördert, erklärte er: „Dem Bayerischen Rundfunk und seinem Orchester von Weltrang wollen wir keine Steine in den Weg legen, auch wenn ich selber kein absolutes Gehör habe. Aber er muss, zusammen mit der Staatsregierung, dann auch Nägel mit Köpfen machen“.
Reissl ging auch das Thema Bürgerbeteiligung ein. „Die SPD hat sich in der Vergangenheit stets dafür stark gemacht. Aber der Aufwand, der betrieben wird, ist inzwischen extrem hoch. Vielfach stellen wir fest, dass wir bei 25-50 Versammlungen die immer gleichen ca. 100 Personen darin feststellen müssen. Oft genug sind sie von Eigennutz und nicht vom Gemeinsinn getrieben. Und vielfach wird nicht eingesehen, dass Bürgerbeteiligung nicht Bürgerentscheidung bedeutet“. Was auch als Irrtum inzwischen erkannt würde – und das hinge mit dem soeben Gesagten zusammen – sei, dass die Wahlbeteiligung durch Bürgerbeteiligung steige. „Das Gegenteil ist der Fall, man muss sich nur die 42% Beteiligung an den letzten Bürgermeisterwahlen ansehen. Kurz, nicht die Bürgerbeteiligung als solche, aber Grad und Umfang und Organisation müsse überdacht werden. „Leider müssen wir feststellen, dass viele der „Frustbürger“ auf hohem Niveau lebend sich von den gesellschaftlichen Prozessen verabschiedet haben“.
Abschließend stellte er fest, dass die SPD-Fraktion mit solider Arbeit in den nächsten 5 Jahren überzeugen wird. „Die SPD ist die Partei, die ein Modell für die Gesamtfragen politischen Handelns entwickelt, sie steht für Ausgleich, Weltoffenheit und Integration aller gesellschaftlichen Gruppen, sie ist für Legitimation und Verantwortung und widersetzt sich dem Versuch, Partikularinteressen durchzusetzen“.
Langanhaltender Beifall zeugte davon, dass Reissl den sozialdemokratischen Nerv der Teilnehmer bestens getroffen hatte. Er stand danach in einer sehr intensiven Debatte, die von Dr. Fabian Winter geleitet wurde, Rede und Antwort. Georg Seidl schließlich verabschiedete schließlich den Gast – nicht ohne zuvor ihm Gastgeschenke mit dem Konterfei von Helmut Schmidt und Herbert Wehner überreicht zu haben. „Der langjährige Zuchtmeister der SPD-Bundestagsfraktion hat, so scheint mir, einiges gemein mit Dir!“.
Bildnachweis: Alle Fotos von Martin Heitzer.