Eine Lehrstunde in moderner Lehrstunde in moderner Wirtschaftspolitik erteilte der renommierte Wirtschaftsforscher, Mitglied des Sachverständigenrates der Bundesregierung und Sozialdemokrat, Professor Dr. Wolfgang Wiegard, den über 70 Teilnehmern einer Veranstaltung der SEEHEIMER OBERBAYERN. In der gut besetzten Bürgerstube des Bayerischen Donisl entwickelte er die Grundzüge einer modernen Wirtschafts- und Sozialpolitik, die notwendige Effizienz mit sozialer Gerechtigkeit vereint.
Wiegard, einer der einflussreichsten Berater von Finanzminister Steinbrück und der Bundesregierung, legte dar, welche wichtige Rolle die Reformpolitik unter Kanzler Schröder, ökologische Steuerreform und Agenda 2010, gerade in der heutigen Wirtschaftskrise einnimmt. Er warnte, untermauert mit zahlreichen wissenschaftlichen Belegen, vor Tendenzen innerhalb der SPD, angesichts der Herausforderungen der Globalisierung und der Schaffung des weltgrößten Wirtschaftsraumes durch die EU-Osterweiterung diese unerlässlichen Reformen wieder zurückzudrehen.
Im Gegenteil: „Man stelle sich vor, wir wären in die heutige Finanzkrise mit einem Sockel von fünf Millionen Arbeitslosen geschlittert. Auf diesen Reformen aufbauend müssen wir diese Krise meistern“. Diese sei – entgegen manchen Meldungen in den Medien – mit der Weltwirtschaftskrise vor 80 Jahren nicht zu vergleichen, „weil wir ganz andere Instrumente der Geld- und Finanzpolitik sowie ein ausgebautes, tragfähiges System der sozialen Sicherheit entwickelt haben“. Zwar seien die Veränderungsraten der Wirtschaft ähnlich hoch, das Niveau aber, auf dem sie sich vollziehen – etwader Rückgang des Inlandsproduktes um voraussichtlich 6 % – würde sich auf dramatisch höherem Niveau abspielen und daher den durchschnittlichen Wohlstand zwar beeinträchtigen, aber nicht abstürzen lassen: „Wir werden auf das Niveau von vor einigen Jahren zurückfallen, aber damals war Deutschland auch keine Armenstube“. Und wer dem nicht traute, konnte sich übrigens durch einen Blick aus der Bürgerstube des Donisl auf den gewohnt pulsierenden Marienplatz mit der prächtigen Kulisse des Münchner Ratshauses auch plastisch überzeugen…
Dies heiße nicht, dass wir nicht vor länger anhaltenden Schwierigkeiten stünden, die Arbeitslosigkeit wieder zunehmen und vor allem die Steuerschuld der öffentlichen Hand stark ansteigen würde, ergänzte Wiegard.
Besorgt äußerte sich Wiegard zu den staatlichen Hilfsaktionen bei Opel, Arcandor, Schaeffler, etc.. Man müsse aufpassen, dass nicht eine ungezügelte Umverteilung von den Steuerzahlern und solide wirtschaftenden Unternehmen hin zu erfolglosen Konzernen erfolge – mit langfristig negativen Folgen für Staatsverschuldung und Arbeitsmarkt.
Die Gefahr einer Inflation, von manchen Medien und Politikern an die Wand gemalt, stufte der Wirtschaftsweise als gering ein; eher sei eine Deflation zu befürchten, mit negativen Auswirkungen auf Steuereinnahmen und Wirtschaftswachstum.
Die FDP-Forderungen nach Steuersenkungen in den nächsten Jahren lehnte Wiegard mangels Gegenfinanzierung entschieden ab: Es komme nun darauf an, „die zu recht aufgebauten Defizite sukzessive wieder abzubauen und sie nicht auf die kommenden Generationen abzuladen“, sagte Wiegard unter starkem Beifall insbesondere des starken jungen Anteils im Publikum.
Insgesamt glaubt Prof. Wiegard, dass die deutsche Wirtschaft, beflügelt durch die unter großen Schmerzen für die SPD von Kanzler Schröder durchgeführten Reformen und das erfolgreiche Krisenmanagement der Bundesregierung unter Federführung von Finanzminister Steinbrück, eher gestärkt als geschwächt aus der Krise hervorgehen wird.
Dass Wahlkampfzeiten schlechte Zeiten für eine rationale Wirtschaftspolitik seien – wie Wiegard meinte – stimmt ganz offensichtlich nicht für die SEEHEIMER OBERBAYERN, wie deren Sprecher Jürgen Maruhn abschließend feststellte. Der lang anhaltende Applaus aus dem gefüllten Saal für den fesselnden Vortrag gab ihm recht. Und ein Besucher stellte in der lebhaft geführten Diskussion an diesem Samstag vor der Europawahl die innerparteilich entscheidende Frage, inwieweit die Führung der bayerischen SPD sich der Kenntnisse und Erfahrung des Wirtschaftsweisen aus der Uni Regensburg bediene. Die Antwort war nicht erfreulich, aber sie zeigte, dass die SEEHEIMER OBERBAYERN gut daran tun, diese Lücke schließen zu helfen. „Je seeheimerischer die SPD, desto größer die Erfolgsaussichten“, hieß es aus dem Sprecherteam des Gesprächskreises. Das lässt interessante Debatten in der Zukunft erwarten.
Die Vortragsfolien von Prof. Wiegard sind auf Anfrage bei Robert Hagen (robert.hagen@seeheimer-oberbayern.de) erhältlich.