Die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie (BMWi), Brigitte Zypries, Mitglied des Sprecherkreises Bundes-Seeheimer führte am 8. April auf Einladung der Seeheimer Oberbayern in München ein Fachgespräch über den Stand der Digitalisierung („Industrie 4.0“) und die Lage der Luftfahrtindustrie in Deutschland.
Brigitte Zypries ist seit dem 29.01.2014 Koordinatorin der Bundesregierung für die Deutsche Luft- und Raumfahrt im BMWi. Sie ist damit zuständig für die Luftfahrtindustrie, ein dynamischer Sektor mit hohen Zuwachsraten und einem leistungsfähigen industriellen Kern in Deutschland. Diese Industrie steht jedoch zunehmend im internationalen Wettbewerb, drängen neben den etablierten Luftfahrtnationen zunehmend Wettbewerber aus Russland, China, Indien und Brasilien auf den Markt.
Sie ist ebenfalls zuständig für den Bereich der Digitalisierung, dessen Bedeutung für die Zukunft Deutschlands als Industrienation nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. In diesem neuen Technologiebereich stellt sich das Problem, dass die deutsche und europäische Industrie und Dienstleister beim systemisch vernetzen Datenmanagements („Big Data“) zumindest in Teilbereichen den USA und einigen anderen Ländern hinterher hinken und auf das technologische Niveau gebracht werden müssen. Diese Probleme und Herausforderungen der Technologien um Industrie 4.0 waren Kern der Veranstaltung.
Georg Seidl, Mitglied im Sprecherkreis der Seeheimer Oberbayern, begrüßte die 25 geladenen Teilnehmer aus Industrie, Wirtschaft und Politik im Aumeister neben dem Gast aus Berlin.
Staatssekretärin Zypries ging in ihrer Eingangsrede auf die aktuelle Transformation in der Produkt-, Produktions- und Konsumentenwelt ein. Am Beispiel eines deutschen Erfinders und „start up“-Gründers, der statt einem Sortiment von Müsliriegeln – dank einer cleveren Idee und unter Ausnutzung der Möglichkeiten des Internets bzw. der sozialen Netzwerke – nun völlig individuell gemixte Rezepturen aus zahlreichen Geschmacks- und Wirkstoffen in seinen Müsli anbietet, also mit „Losgröße 1“ produziert, machte Zypries den Umbruch deutlich, der sich anbahnt und der – so die Prognose – geeignet ist, in naher Zukunft unser gesamtes Dasein erheblich zu verändern. Diese Individualisierung von Produkten und Produktionsweisen müsse uns aber nicht erschrecken, führen sie doch bereits heute zu einer wahrnehmbaren ersten Rückholung von einst ausgelagerten Produktionsprozessen nach Deutschland und Europa.
Die Digitalisierung führe also zu enormen Innovationen, Änderungen von Produktion und Logistik und in der Folge zu einer Veränderung der Arbeitswelt und mithin der Beziehungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Dass Deutschland – nicht zuletzt dank Bundeskanzler Schröders Agenda 2010 – dabei als Produktionsstandort die Globalisierung gut bewerkstelligen konnte komme nun zugute. Denn die Industrie 4.0 entwickelt sich vor allem im Umfeld der Produktion und weniger oder nicht nur im virtuellen Raum von Daten, Dienstleistungen und Finanzmärkten.
Die mit einher gehende Veränderung der Arbeitswelt, die sich durch Rationalisierung einerseits, eine höhere Verantwortung der Mitarbeiter und neue Formen der Arbeit in Selbstständigkeit u.v.m. andererseits auszeichnet, würde von der jetzigen Regierung im Ministerium von Andrea Nahles eingehend auf die sozialen Auswirkungen hin analysiert und politisch begleitet. Die Qualifizierung von Arbeitnehmern stehe auf deren Digitalen Agenda – dem entsprechenden ministeriellen Projekt – an oberster Stelle.
In der sich anschließenden Diskussion kamen vorwiegend Vertreter von Oberbayerischen Industriebetrieben und IT-Dienstleistern zu Wort. Einer der Schwerpunkte ihrer Forderungen an die Politik betraf den Bereich Datensicherheit und Datenschutz, der als einer der kritischen Faktoren der Industrie identifiziert wurde. Das Schaffen von rechtlichen Standards und Normen wurde in diesem Zusammenhang angemahnt und in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung des EU-US-Handelsabkommens TTIP verwiesen.
Aus einer in Ottobrunn ansässigen Systemfirma wurde über dort im Test sich befindlichen virtuellen Produktionsverfahren, die auch und gerade im Bereich Luft- und Raumfahrt, einem Innovationsmotor der Industrie, Anwendung fänden, berichtet. Auch hier wurde die Bedeutung der Schaffung von Standards und Vorschriften insbesondere auch für eine Zertifizierung solcher Prozesse berichtet.
Weiter wurde von Vertretern der IT-Dienstleister das Fehlen nationaler oder europäischer Cloud Services beklagt. Auch sei es dringend erforderlich, entsprechende Internetplattformen für KMU bereitzustellen, die, anders als Großunternehmen, keine eigenen Ressourcen und/oder kein hinreichendes „know how“ für deren Aufbau hätten.
Ein Vertreter eines KMU aus dem Kreis Rosenheim schilderte die Erfahrung bei der Einführung innovativer/unkonventioneller Methoden bei Betrieb und Wartung von Infrastrukturen.
In ihrer Zusammenfassung der Gespräche bedankte sich die Staatssekretärin für die Fülle an Anregungen, die sie mit nach Berlin nehmen könne. Selten seien ihr in dieser Dichte Eindrücke, Ergebnisse und Probleme nahe gebracht worden. Sie ermunterte ausdrücklich, die geknüpften Kontakte mit ihr zu erhalten und den Informationsfluss von der Basis der Industrie 4.0 zum zuständigen Ministerium auch über die bestehenden offiziellen Gremien hinaus auszubauen. Die Seeheimer Oberbayern ermunterte sie, diese Fachgespräche mit ihr weiter zu pflegen: „Ich nehme ein ganzes Bündel an Anregungen mit nach Berlin. Lasst uns diese Art weiter fortführen. Wir in den politischen „Ämtern“ bedürfen dringend dieses engen Austausches, um eine gute und zukunftsfähige Industriepolitik betreiben und das Land voranbringen zu können“. Die SPD ihrerseits müsse sich wieder mehr auf ihre Rolle als Motor für Fortschritt besinnen und entsprechend mutige politische Schritte unternehmen – ganz im Sinne eines Mottos der Seeheimer Oberbayern: „Wir schaffen das moderne Deutschland“.
Dr. Ludwig Hoegner, ebenfalls Mitglied im Sprecherkreis der Seeheimer Oberbayern bedankte sich abschließend bei der Staatssekretärin, den Industrievertretern und den teilnehmenden Funktionsträgern der SPD für die höchst produktive Diskussion und versprach eine Fortführung der begonnen Gesprächsreihe mit der Industrie und Wirtschaft.